Endlich! Ein Neuanfang, eine Wiederbelebung der Biografiegespräche. Wie für alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens galt natürlich auch für die Biografiegeschräche ein Lockdown. Selbst in den vergangenen Monaten noch waren die Anwerbung der Teilnehmenden wie die Anmietung der Veranstaltungsorte mit vielen Unwägbarkeiten und Risiken verbunden. Und auch das Treffen auf Schloss Namedy bei Andernach am 12. und 13. März musste auf kurzfristige Corona-Absagen reagieren. Das gute Netzwerk, das Engagement und die Flexibilität der Organisator*innen halfen aus der Bredouille: eine Teilnehmerin konnte noch am Vortag gewonnen werden und für die erkrankte Moderatorin Hatice Balaban-Coban sprang Astrid Wirtz-Nacken ein.
Die Gespräche selbst zeigten einmal mehr, dass unser Format, die ungestörte Konzentration auf das jeweilige Leben, diese für viele ungewohnte und intensive Beschäftigung mit der eigenen wie auch mit der Biografie der anderen, Gefühle freisetzt, Blicke öffnet und Bilder verändert. Über kulturelle, religiöse und soziale Unterschiede hinweg.
Zwei Teilnehmerinnen, die Mobbing und Diskriminierung erlebten, nur mit umgekehrten Vorzeichen: Die eine, weil sie ein Kopftuch trägt, die andere, weil sie es nicht tut. Für beide eine tiefgreifende Erfahrung von Intoleranz, die sie nun gemeinsam bekämpfen wollen. Ein polnischer Teilnehmer, der die Runde in Namedy als einen wichtigen Markstein auf seiner Suche nach Heimat erlebte. Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen und Suche nach Identität, wie das viele in der Runde nachvollziehen konnten. Ja und ein Laienbruder, den es aus höchsten Managementämtern zurück in die Armenküchen zieht, wo er Suppe verteilt und den Menschen nah sein will. Werte, wie sie alle in der Runde über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg verbanden. Oder der Weg einer beruflich erfolgreichen Frau in den 70igern, die sich beharrlich ganz nach oben kämpfte und für die jungen Frauen, egal welcher Herkunft ein mutiges Beispiel war. So auch für eine deutsch-türkische Psychologie-Studentin, für die der Weg zu einem selbstständigen Leben ein selbstverständliches Ziel ist. Eine andere Teilnehmerin, die unter Tränen von den Schlägen ihres lieblosen Mannes berichtet – von dem sie sich nach Jahrzehnten erst befreit hat. Und eine junge Frau aus Syrien, die sich ihre berufliche Selbstständigkeit bereits verwirklicht hat und nun vor der Partnersuche zurückschreckt, weil auch sie ebendiese Angst hat und den Männern ihres Umfeldes nicht traut. So und ähnlich treffen vorher fremde Menschen mit verschiedenen kulturellen und familiären Herkunftsgeschichten zusammen, die alle in diesem Land leben und sich doch so wenig kennen.
Daran wollen die Biografiegespräche etwas ändern.
Es folgen Zitate aus der Runde in Namedy:
„Aufklärung ist der Weg weg von Vorurteilen. Es gibt noch viel zu tun, aber hier habe ich etwas für diesen Weg mitgenommen.“ E. (deutsch-türkisch)
„Man sollte diese Runde, diese Biografiegespräche, verbreitern, einem größeren Kreis zugänglich machen.“ H. (deutsch)
„Wichtig ist Dialogbereitschaft, ein Freund sein, die inneren Werte eines Menschen kennenlernen. Es ist die Hochachtung, die mir entgegengebracht wurde und die ich empfinde, die ich von diesem Wochenende mitnehme.“ J. (deutsch)
„Es wurde mir zugehört, ich wurde akzeptiert. Ich wurde noch nie so geschätzt.“ A. (marokkanisch)
„Ihr habt mich bestärkt.“ B. (syrisch)
„Die Menschen hier am Wochenende, sie geben mir Kraft, sie sind ein Schatz, den ich mir bewahre.“ A. (polnisch)
„Bereichernd, spannend. Wunderbare zwei Tage.“ M. (deutsch)